von Werner Wagner
Die Gönser Mark wurde 777 erstmals erwähnt, aber schon vorher nannten germanische Siedler ihre Siedlungen z. B. „Gunissiu“ bzw. „Gundissa“ (evtl. = Kampfwasser). Hier entwickelten sich aus Weilern oder Rodungssiedlungen im Süden des Giessener Beckens in einer Markgemeinschaft geschlossene Dörfer wie Langgöns als zentraler Ort und Kirch-Göns als kirchlicher Mittelpunkt, die zum Lahngau gehörten. Kirch-Göns wird um 1150 zum ersten Mal als “Kirchunnesse“ in Urkunden des Klosters Schiffenberg erwähnt, existierte aber sicherlich schon vorher. Kirch-Göns besaß im gesamten Mittelalter eine günstige Verkehrslage am Schnittpunkt der bedeutenden Nord-Süd- Fernverkehrsachse, der „Weinstraße“ (=“Wagenstraße“), als Vorgängerin der heutigen B 3 und einer von der Lahn kommenden Ost-West-Straße. Daher wurde hier eine Zollstätte errichtet, an der schon um 1350 Straßenzoll erhoben wurde.
Mitte des 13. Jahrhunderts wird das Amt Hüttenberg urkundlich erwähnt, das bis heute der Landschaft zwischen Gießen, Wetzlar und Butzbach seinen Namen gibt. Die territoriale Zugehörigkeit wechselte im Laufe der Jahrhunderte mehrfach zwischen Hessen-Nassau, den Landgrafen von Hessen, der Grafschaft Nassau und der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt.
Im 19. Jahrhundert gehörte Kirch-Göns im Wechsel zu den Landratsbezirken bzw. Kreisen Gießen, Grünberg und Friedberg. Trotz drückender Leibeigenschaft erwirtschafteten die Bewohner von Kirch-Göns auf den guten Lößböden einen bescheidenen Wohlstand, der allerdings durch Kriegswirren im 17. und 18. Jahrhundert beeinträchtigt wurde. Das Dorf war wohl vom 14. bis in das 18. Jahrhundert von einem Haingraben (Wallgraben mit Schutzhecke) umgeben. Am Dorfrand in der Taubgasse ist seit dem 13. Jahrhundert eine Burg einer Familie von Göns belegt.
Namensgebend für den Ort war die um 1200 errichtete romanische Dorfkirche, die als ältestes Gebäude noch in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten ist. An ein einfaches Kirchenschiff schließt sich im Osten ein Rechteckchor mit einem quadratischen Kirchenturm im Westen an. An einer Außenwand befindet sich ein altertümlicher Kopf, der einem keltischen „Tête coupée“ (abgeschlagener Kopf) ähnelt, dessen Ursprung dem Historiker allerdings viele Rätsel aufgibt. Das Dorfbild zeichnet sich durch einige im 18. und 19. Jahrhundert erbaute stolze fränkische Vierseitgehöfte aus Fachwerk aus, die zur Straße durch das Hüttenberger Hoftor mit Mannpforte abgeschlossen werden und wie eine Festung wirken. Dieses passt gut zu der prächtigen Hüttenberger Tracht mit Bändern und Pailletten, die bis in das 20. Jahrhundert noch von älteren Hüttenbergerinnen getragen wurde. Heute pflegt der Heimat- und Backhausverein örtliches Brauchtum und hat sich auch bei der Renovierung des Backhauses bleibende Verdienste erworben.
1902 wurde an der 1850 erbauten Main-Weser-Bahn eine Haltestelle eingerichtet, die die Siedlungsentwicklung von Kirch-Göns entscheidend beeinflusste, wie die Ortserweiterungen entlang der Bahnhofstraße und das Neubauviertel „Am Stautzert“ östlich der Bahn belegen.
Nach 1945 wurden dem Ort 418 Heimatvertriebene zugewiesen, die oft bei Bauern unterkamen und froh waren, in der Landwirtschaft mithelfen zu können, um wenigstens etwas zu Essen zu haben. Diese haben sich in den 50er Jahren oft eigene Häuser erbaut und sich als belebendes Element gut im Ort integriert.
Bis etwa 1950 war Kirch-Göns noch ein Bauerndorf, das sich bis heute zu einer noch agrarisch geprägten Arbeiterwohngemeinde entwickelt hat. 1968 entstand Richtung Pohl-Göns die Mittelpunktschule „Oberer Hüttenberg“ mit einer angeschlossenen modernen Sporthalle.
1935 begannen etwa zeitgleich mit dem Westwall und dem „Adlerhorst“ bei Langenhain-Ziegenberg nordwestlich des Ortes auf Kirch-Gönser und Langgönser Gebiet die Bauarbeiten eines E-Hafens (=Einsatzhafens) der Luftwaffe. Die Arbeitskräfte kamen aus Kirch-Göns und den umliegenden Orten, Fachkräfte und Bauingenieure waren in Gasthäusern oder Privatquartieren im Ort untergebracht. Der „Flughafen“ wurde nach drei Jahren fertig gestellt, war aber immer als Gutshof, dessen Pächter Äcker auf dem Flughafengelände bebaute, getarnt. Großflugzeuge des Typs Do 17 P zogen die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf sich. Die auf dem Flughafen stationierte Fernaufklärungsstaffel wurde 1940 verlegt und dann wurden Luftwaffensoldaten ausgebildet. Auch ein Gleisanschluss an die Butzbach-Licher-Eisenbahn wurde gebaut. Bis zum Ende des Krieges wurde der Flughafen mehrmals bombardiert und völlig zerstört. 1953 errichteten die Amerikaner auf dem Flughafengelände die „Ayers-Kaserne“ und stationierten auf dem riesigen Areal gepanzerte Fahrzeuge. Die Familien der Soldaten waren in der „Housing Area“ in Wetzlar untergebracht. Sie versorgten sich in den umliegenden Städten Butzbach, Gießen und Wetzlar. Das Gleisnetz wurde für den Abtransport gepanzerter Fahrzeuge in Manöver- oder Kriegsgebiete ausgebaut. In den sechziger Jahren begann man, neue Gebäude wie Schulungsbaracken, einen Schießstand für die Flugabwehrstellung, ein Baseballfeld, aber auch Bars, Kneipen und Clubs für die Soldaten zu errichten. Die Amerikaner prägten das Dorfleben in Kirch-Göns für mehr als vier Jahrzehnte (Gasthäuser, Kneipen, Prostituierte, Mieter) entscheidend, bis sie die Ayers-Kaserne 1997 aufgaben. Das Gelände glich in den folgenden Jahren einer Geisterstadt und ein Wachdienst sorgte für Ordnung. Im Jahr 2003 wurde das gesamte Areal an die Spedition Bork aus Niederkleen verkauft, die hier ein riesiges Logistikzentrum errichtete und die auch die weiteren Ausbaupläne für die Konversionsfläche in Kooperation mit der Stadt Butzbach und der Gemeinde Langgöns gestalten wird.
Mit seinen ca. 1400 Einwohnern hat das kleine Dorf etwa fünfzig Jahre große Weltgeschichte erlebt, aber dennoch ist es in den letzten Jahren, trotz des Logistikzentrums, ruhiger im Ort geworden.
(Aus der 8. Ausgabe der Seniorenzeitung vom März 2006)