Griedel, Stadtteil am Wetterknie

von Werner Wagner

Griedel mit heute 1.670 Einwohnern wird 768 erstmals als „Gredila“ im Lorscher Kodex erwähnt, dürfte aber wohl älter sein, wie bandkeramische Funde aus dem 4./5. Jahrhundert belegen. Das alte Haufendorf liegt genau am Wetterknie, wo die Wetter einen charakteristischen Knick nach Süden macht. Im Mittelalter erscheinen die Herren von Münzenberg, dann die von Falkenstein und Eppstein als Besitzer, bis der Ort 1464 in den Besitz der Grafen von Solms-Braunfels, die wohl im 15. Jahrhundert (erhaltene Inschrift 1551) eine Wasserburg, die heutige „Burg“, errichteten. Dieses Gebäude war noch bis 1835 von einem Wassergraben umgeben und bis 1899 Sitz der Solms-Braunfelsischen Amtmänner, die bis ca. 1875 das Getreide überprüften, das die Pächter der Solms-Braunfelsischen Besitzungen als Pacht abzuliefern hatten, und das in der Zehntscheune gelagert wurde. Die Burg blieb bis 1926 in fürstlichem Besitz und wechselte danach mehrfach den Besitzer. 1817 kam Griedels berühmteste Persönlichkeit, Moritz Carrière, als Sohn des Rentmeisters W. Gottlieb Carrière und seiner Ehefrau Christiane geb. Bender zur Welt. Dieser wurde als Schüler Friedrich Ludwig Weidigs und Professor für Kunstgeschichte in München bekannt. Heute stellt die grundlegende Sanierung des maroden Baus den Besitzer vor eine schier unlösbare Aufgabe. Während des Mittelalters werden in Griedel mehrere ritterbürtige Familien erwähnt. Hieran erinnert noch der Junkernhof auf dem Angerberg.

Griedel blieb mit seinen ca. 600 Einwohnern um 1800 bis 1939 mit seinen 884 Einwohner eine fast reine Agrargemeinde. Nur im von ca. 1850 bis 1879 betriebenen Brauneisensteinbergwerk auf dem Wingert fanden zeitweise bis zu 80 Arbeiter ein zusätzliche Beschäftigung. Auf dem um 1800 von Rentamtmann Elias Carrière erbauten Weiherhof, einem Hofgut mit 275 Morgen Land, den der Butzbacher Postmeister Philipp Moritz Bender 1822 erwarb, fand man ebenfalls Arbeit. Für den Weiherhof – wegen seiner Lage in sumpfigem Gelände so genannt – setzte sich im Laufe der Jahre die Bezeichnung Posthof durch. Als auf dem Posthof um 1830 von Karl Weinrich eine Zuckerfabrik für etwa 10 Jahre eingerichtet wurde, bestand auch dort eine zusätzliche Möglichkeit, eine Arbeit zu finden.

Später wurde hier eine Schnapsbrennerei eingerichtet. Der 28 m hohe Schornstein erinnert noch heute an diese ehemals gewerbliche Nutzung. Die Wiege der 1891 in Butzbach an der Main-Weser-Bahn errichteten Landmaschinenfabrik Tröster, weltweit unter dem Namen Hassia bekannt, lag in Griedel, in der Schmiede von Andreas Jakob Tröster.

Griedel blieb mit seinen ca. 600 Einwohnern um 1800 bis 1939 mit 884 Einwohnern eine Agrargemeinde. Im 19. und 20. Jahrhundert lebten ca. 10 jüdische Familien bis zu ihrer Vertreibung und Vernichtung durch die Nationalsozialisten in Griedel. Die 1865 auf der Kleinen Bach erbaute Synagoge und das zugehörige Mobiliar wurden 1938 ein Raub der Flammen. War die Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund der schlechten Versorgungslage noch sehr auf die Landwirtschaft angewiesen, so suchte man sich in den 50er und 60er Jahren eine Beschäftigung im produzierenden Gewerbe, Handel oder im Dienstleistungssektor. Durch die Zuwanderung von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen nach 1945 entstanden auf der Hühnerweide und in der Mittelstraße Neubaugebiete. Mit dem Kalksandsteinwerk und dem Möbelhof Orth besitzt Griedel gut florierende Gewerbebetriebe.

Die Bevölkerungszahl stagnierte bis ca. 1970 bei etwa 1500. Vor der Eingliederung nach Butzbach 1972 wurde auf dem Wingertsberg ein größeres Neubaugebiet aufgelegt, wo jüngere kapitalkräftige Familien meist Einfamilienhäuser errichteten, während die ältere Bevölkerung im alten Ortskern blieb, wo die Bausubstanz sich verschlechterte. Trotz inzwischen abgeschlossener Dorfsanierung, durch die der Wohnwert der Altbauten verbessert werden sollte, wurden recht wenig wirkliche Sanierungsmaßnahmen durchgeführt. Der Dorftreff hat sich als wichtigste Sanierungsmaßnahme neben dem Mitte der 60er Jahre erbauten Dorfgemeinschaftshaus zu einem wichtigen Mittelpunkt vor allem des Vereinslebens entwickelt.

Da nach 1972 kein neues Baugebiet ausgewiesen wurde, wandern junge Familien verstärkt in die umliegenden Orte ab. Leider schließen im Ort immer mehr Gewerbebetriebe, Geschäfte und Gastwirtschaften, so dass in Zukunft sogar die Grundversorgung nicht mehr gesichert scheint. Auch die Poststelle ist von der Schließung bedroht. Zwar wurde durch den Bau der Umgehungsstraße die Verkehrssituation vor allem in der Rockenberger Straße entschärft, aber der „illegale Durchgangsverkehr“ von der Autobahnabfahrt Richtung Lich belastet vor allem die Hauptstraße und die Bahnhofsstraße und kann wohl nur durch den Bau eines Kreisels an der Spinne gelöst werden.

(Aus der 5. Ausgabe der Seniorenzeitung vom September 2004)