Verdienstvolle Butzbacher
Stadtchronistin
Erika Gillmann ist gestorben
Ein Nachruf von Dr. Dieter Wolf
Die „Grand Old Dame der
Butzbacher Stadtgeschichte“, Erika Gillmann geb.
Stroeter, ist in der Nacht zum Freitag, 5. Mai 2023, in der
Seniorenresidenz der Arbeiterwohlfahrt, im gesegneten Alter von
94 Jahren nach einem sehr erfüllten Leben friedlich
eingeschlafen.
Sie ist den älteren Butzbachern/Innen
bereits aus den Jahrzehnten bekannt, wo sie zusammen mit Ehemann
Willy und Tochter Ute die gutgehende Friedhofsgärtnerei bzw. den
Blumenladen in der Langgasse 1 bis zur Aufgabe des Geschäftes
1981 führte. Sie stand damals hinter der Ladentheke oder am
Bindetisch und lernte die damaligen und auch viele frühere
Butzbacher/Innen und genauso viele Leute „vom Land“,
besonders aus dem Hüttenberg, kennen, Sie alle holten hier vor
allem ihren Blumenschmuck für die Gräber oder hatten die
Grabpflege für die Gräber der Verwandten per Auftrag
vertrauensvoll den Gillmanns überlassen. Ihre liebenswürdige
Art, ihr persönliche Ausstrahlungskraft und ihr Elan, der auf
andere übersprang, wenn man sich auf ein Gespräch mit ihr
einließ, waren bereits damals in Butzbach und im ganzen oberen
Hüttenberg bekannt.
Erika ist zwar keine gebürtige Butzbacherin im
engeren Sinn, ihre wachen Kinderaugen haben aber sich bereits das
schöne Vorkriegs-Butzbach – nach Besuchen in den Sommerferien
von 1935, 1937 und 1938 – bereits unauslöschlich in ihren Kopf
eingebrannt. – Und hier hat sich Erika nie fremd gefühlt.
Butzbach war schließlich die Heimatstadt ihrer Großmutter
Caroline Maas geb. Weickhardt. Die Vorfahren aus der Familie
Weickhardt, waren bereits am Ende des Dreißigjährigen Krieges
nach Butzbach gekommen. Die Großmutter Caroline heiratete nach
Wetzlar und ging mit ihrem nach Wuppertal versetzten Mann ins
Ruhrgebiet. Der Kontakt zur oberhessischen Heimatstadt blieb
jedoch immer erhalten. Auch Erikas Mutter, Luise Ströter geb.
Maas, besuchte mit ihren vier Kindern turnusmäßig Butzbach. So
kamen Erika und ihre drei Schwestern im Sommer regelmäßig nach
Butzbach, wo in Form großer Obstgärten ein riesiges
Kinderparadies auf sie wartete. Natürlich hat die Verstorbene
neben vielem anderen auch die Fahrt zum ersehnten Ziel Butzbach
und die idyllischen Ferien in der Heimat der Großmutter
ausführlich in ihren – bisher unveröffentlichten –
Lebenserinnerungen beschrieben.
Sie kam am 16. April 1929 in Barmen (seit 1929
Stadtteil der neuen Stadt Wuppertal) als Erstgeborene zur Welt.
Sie wuchs bei ihren Eltern – der Vater war Reichsbahnbeamter
– zusammen mit ihren drei Schwestern in Wuppertal-Barmen auf.
Die Wirren des 2. Weltkriegs brachten zweimal die
völlige Vernichtung der elterlichen Wohnung (und aller
Erinnerungsgegenstände und Fotos aus dem bisherigen
Familienleben). Sie zerstörten die Möglichkeit, im Ruhrgebiet
wieder fest heimisch zu werden. Es zog sie in die liebgewonnene
Heimat der Vorfahren. Seit 1950 lebte die spätere
Heimatforscherin in Butzbach, wo sie ihren Ehemann, den
Friedhofsgärtner Willi Gillmann fand und heiratete. Erst im
Ruhestand konnte sich Erika Gillmann zusammen mit ihrem am 13.
Okt. 1990 verstorbenen Mann – auf ihr großes Interesse an der
Geschichte des alten Butzbach, seinen Häusern, Familien und
Menschen konzentrieren. Gesucht wurden vor allem alte Bilder,
Malereien, Zeichnungen und ganz besonders Fotografien, die
Butzbach und Butzbacher/Innen abbildeten. Dabei kamen Erika
Gillmann nicht nur die ihr wohl angeborene gesunde Neugierde und
ihr Talent zu detektivischer Vorgehensweise entgegen, sondern
auch ihre hervorragend entwickelte Fähigkeit, das richtige Wort
mit den tatsächlichen oder vermuteten Inhabern solcher
Graphikdokumente im richtigen Moment zu haben. Viele Nachfragen,
meist mit langjährigen Bekannten oder ehemaligen Kunden,
führten immer wieder zum Erfolg.
Die Fülle des gesammelten historischen
Bildmaterials und auch selbst gemachte Fotos mündeten in
zahllose Zeitungsbeiträge in der Butzbacher Zeitung, Artikel in
der Beilage der vom Geschichtsverein herausgebrachten Butzbacher
Geschichts-Blätter und in mehrere Buchveröffentlichungen ein.
Etliche Bild- und Chronikbände oder auch chronikalische
Erinnerungen kamen seit 1984 hinzu: „Butzbach in alten
Ansichten.“ (1984), „Butzbach im 20.
Jahrhundert.“ (1985), E. G., Th. M. Mayer, R. Pabst u.
D. Wolf, Georg, „Büchner an „Hund“ und „Kater““
(1993), „Butzbach unsere Heimatstadt – Augen-Blicke aus
zwei Jahrhunderten.“ (1995), „Unser
liebenswertes Butzbach, gesehen von Erika Gillmann“
(1997); Erika Gillmann (u. D. Wolf), „Butzbach, Eine
Stadt in Bewegung, Die 50er und 60er Jahre“ (2002) sowie
D. Wolf, Th. Kopp u. E, G., „Butzbach. Eine Stadt und
ihre Geschichte von gestern bis heute“ (2007). Neben
diesen sieben Buchveröffentlichungen weist das stattliche
bibliographische Verzeichnis ihrer Veröffentlichungen insgesamt
66 Aufsätze auf.
In all diesen Werken und den vielen anderen
Veröffentlichungen, die Erika Gillmann verfasst, illustriert
oder auch nur durch emsiges Nachhaken initiiert hat, kommt immer,
wie schon angedeutet, ihre große Liebe zur Heimat ihrer Ahnen,
die auch zu ihrer Heimat geworden ist, zum Ausdruck!
Die Erzählungen der Großmutter und der
Verwandtschaft aus dem ganz alten Butzbach weckten bereits in
frühen Jahren das Interesse an der Geschichte dieses Städtchens
und regten Erikas Phantasie und den Mut, nach der Vergangenheit
zu fragen, immer wieder an. So dürfte Erika Gillmann bereits in
früheren Jahrzehnten in ihrem Kopf Spaziergänge durch das alte
Butzbach und zu den Häusern und den Höfen der Vorfahren, deren
Verwandten und Zeitgenossen gemacht haben. – Regelrechte
Spaziergänge (mit den Augen) durch Butzbach und seine Geschichte
kann man immer wieder in ihren verschiedenen Veröffentlichungen
erkennen.
Wenn man weiß, welch‘ Odyssee die junge Erika
Gillmann, die sich schon als Kind in Butzbach verliebt hatte,
durchqueren musste, wird einem besonders klar, wie froh sie war,
nach den vielen endlosen Bombennächten, Verlust des
Elternhauses, Kriegswirren und etlichen Hungerjahren eine eigene
Familie in der alten Heimat ihrer Vorfahren gründen zu können,
eine dauerhafte Bleibe zu finden, einem harten aber sinnvollen
Erwerb nachzugehen, Freunde zu gewinnen und zu behalten und ab
und zu einmal, in der geringen Freizeit, sich bei Wanderungen und
beim genauen Beobachten der Schönheiten der nächsten Umgebung
an Landschaft und Natur zu erfreuen. – Wenn Erika Gillmann 1995
im Vorwort eines Buches schrieb „Butzbach, unsere
Heimatstadt, ist liebenswert und schön. Augen-Blicke eröffnen
uns neben den markantesten Schönheiten auch die
unaufdringlichen, kleinen und verborgenen Kostbarkeiten.“
und: „Butzbach ist zahlreichen Vertriebenen, Ausgebombten
und Neuzugezogenen Heimat geworden, weil man
hier gerne lebt und glücklich sein kann. Aus Liebe zu Butzbach
und zu meinen Vorfahren … ist vorliegendes Buch entstanden.“,
so haben wir hier nicht nur Erika Gillmanns schlichte
Liebeserklärung an diese Stadt, sondern auch den Werdegang ihrer
eigenen Heimatfindung vor Augen.
Über viele Jahre kannte sich wohl keiner so gut
wie Erika Gillmann mit den Menschen des 19. und 20. Jahrhunderts
in Butzbach aus, mit Butzbachs Plätzen, Häusern und Gassen! –
Sie war regelrecht „ein wandelndes Lexikon“ in
Sachen Stadtgeschichte, besonders in Bezug auf Personen und
Örtlichkeiten zwischen 1750 und heute.
Ihre vielfältigen Aktivitäten in diesem
Zusammenhang können gar nicht alle aufgezählt werden!
Neben der Reproduktion von Tausenden von
Altfotografien, mit der sie um 1968 begonnen hatte, hat sie aus
vielen Butzbacher Haushalten Fotoalben, Fotoabzüge oder
Glasnegative aufgespürt, seit 1982 als regelmäßig helfende
ehrenamtliche Mitarbeiterin dem Stadtarchiv und Museum Butzbach
Hunderte von Fotografien und Tausende von Negativen meist als
Geschenk überlassen. Bei der Wiederauffindung der beiden
Original-Briefe von der Hand des heute weltberühmten
wortgewaltigen Schriftstellers Georg Büchner (1813-1837) im
ehem. Familienarchiv der Butzbacher Familie Braubach auf dem
Dachboden eines Braubach-Nachfahren hat sie die maßgebliche
Rolle gespielt, eine Entdeckung, die 1993 als literarische
Sensationsmeldung um die ganze Welt ging.
Dazu war sie eine hervorragende Fotografin. Sie
hat über viele Jahre, lange Zeit gemeinsam mit ihrer Freundin
Anneliese Pfaff, hat sie Abertausende von fotografischen
Aufnahmen von Stadt und Umgebung, ihren Menschen, Tieren den
Schönheiten der Natur im Bild festgehalten, die größtenteils
in die Sammlungen des Stadtarchivs gegangen sind.
Bei der Erstellung eines Meilensteins in der
Museumsgeschichte, der Erarbeitung des Stadtmodells „Butzbach
im Mai 1832“ arbeitete sie Hunderte von Stunden mit bei
der Identifizierung von ca. 440 Wohnhäusern bzw. insgesamt etwa
1.200 Gebäuden in den historischen Bauakten, bei der Neuordnung
der alten Bauakten im Stadtarchiv nach Straßen, um dem
Modellbauer Stück für Stück den Zugriff zum Baubestand in den
alten Straßen und Gassen zu ermöglichen.
Über Jahre war Erika Gillmann auch im Vorstand
des Geschichtsvereins für Butzbach und Umgebung tätig. Aufgrund
ihrer großen Verdienste um die Stadtgeschichte und die
vielseitige Förderung des Museums und Stadtarchiv wurde sie am
18. Mai 2008 zum Ehrenmitglied des Freundes- und Förderkreises
des Museums Butzbach e.V. ernannt.
Im Februar 2009 erhielt Erika Gillmann den Ehrenbrief des Landes
Hessen durch Bürgermeister Merle überreicht.
Bereits am 8. Februar 2009 konnte Bürgermeister
Michael Merle Erika Gillmann aufgrund ihrer großen langjährigen
ehrenamtlichen Verdienste den Ehrenbrief des Landes Hessen
überreichen und würdigte sie deshalb am 30. Juni 2012 im Namen
der Stadt mit der Verleihung der Bürgermedaille der Stadt
Butzbach.
Sie hat diese Bücher und die vielen Aufsätze
für Butzbach niedergeschrieben, „… weil man hier
gerne lebt und glücklich sein kann.“ (wie die
Heimatforscherin selbst im Vorwort zu ihrem Buch „Butzbach
unsere Heimatstadt“ es formuliert hat). Sie hat Butzbach
und die Wetterau geliebt und immer wieder gepriesen, Butzbach war
ihre Heimat.
Erika Gillmann hat nachweislich für mehr als
dreieinhalb Jahrzehnte ehrenamtlich ihre Suche nach dem
Historischen und den Kampf gegen das Vergessen unseres
Historischen Erbes in unermüdlichem Einsatz als Mitarbeiterin
des Museums und Stadtarchivs unserer Stadt Butzbach fortgesetzt.
Sie hat als Botschafterin in Sachen Stadtgeschichte Butzbach und
als Stadtchronistin weit über Butzbach hinaus positiv gewirkt.
Wir werden uns bemühen, die Erinnerung an Sie zu bewahren und
weiter in ihrem Sinne zu arbeiten.